Abschlussbericht Sommerakademie „Mittelniederdeutsch: Literatur – Sprache – Medien“ in Rostock vom 15. bis 20. Juli 2019

„Vielfältig“, „abwechslungsreich“ und „nah an den Originalen“

Die Sommerakademie „Mittelniederdeutsch: Literatur – Sprache – Medien“ in Rostock vom 15. bis 20. Juli 2019

 

Vom 15. bis 20. Juli 2019 fand an der Universität Rostock die erste Sommerakademie „Mittelniederdeutsch: Literatur – Sprache – Medien“ statt. Die Idee zu diesem Format, das die mittelniederdeutsche Überlieferung in das Zentrum stellt, geht auf eine Initiative des 2016 gegründeten „Verbundes Mittelaltergermanistik Nord“ (MGN, https://www.slm.uni-hamburg.de/germanistik/forschung/arbeitsstellen-zentren/mittelaltergermanistik-nord.html) zurück. Sie gründet auf der Beobachtung, dass die literarische Produktion wie Rezeption nördlich der Benrather Linie in der germanistisch-mediävistischen Ausbildung an den deutschen Universitäten neben der Beschäftigung mit der mittel- und frühneuhochdeutschen Literatur bislang ein Nischendasein fristet, obgleich es großes Potential für Forschung und Lehre bietet. Das Angebot der Sommerakademie griff gleich zwei Ziele des Verbundes auf: zum einen die vertiefende Beschäftigung mit den Literaturen und dem Schrifttum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Raum „Norddeutschland“, wobei ein Schwerpunkt der Veranstaltung auf der mecklenburgischen Überlieferung und auf Rostocker Beständen lag, zum anderen die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, indem die Veranstaltung sich ausdrücklich an fortgeschrittene Studierende und Promovierende richtete. Interessanterweise stieß die Ausschreibung weder ausschließlich bei norddeutschen Universitäten auf Interesse – die Teilnehmenden kamen aus Bonn, Braunschweig, Dresden, Freiburg, Halle-Wittenberg, Kiel, Leipzig, Oxford, Potsdam, Rostock und Zürich –, noch ausnahmslos in der Germanistik, sondern auch in den Geschichtswissenschaften. Die Teilnehmenden schlugen deshalb vor, das Veranstaltungsangebot künftig auch stärker interdisziplinär auszurichten und zu bewerben.

 

An fünf Tagen setzten sich die insgesamt zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Räumen des Internationalen Begegnungszentrums (IBZ) unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Bieberstedt, Dr. Doreen Brandt und Prof. Dr. Franz-Josef Holznagel, die für die Planung und Durchführung verantwortlich zeichneten, mit ausgewählten mittelniederdeutschen Texten, ihrer Faktur, Sprache und Materialität auseinander. Eröffnet wurde die Sommerakademie nach einem Kennenlern- und Begrüßungstreffen am Sonntagabend, dem 14. Juli 2019, am Montagvormittag mit einem Grußwort des Studiendekans der Philosophischen Fakultät, Prof. Dr. Christian Schmitt-Kilb. Eine Abschlussdiskussion und eine Evaluationsrunde rundeten das sechstägige Programm am Samstagvormittag, dem 20. Juli 2019, ab.

 

Die erste Sommerakademie wurde so konzipiert, dass sie den Teilnehmenden einerseits einen möglichst breiten Überblick über die mittelniederdeutsche Schriftlichkeit bieten, dass sie andererseits aber auch einige Texte vertiefend in den Blick nehmen sollte. Dem Überblickscharakter waren erstens zwei propädeutische Lehreinheiten am Beginn verpflichtet, die in grundlegende Fragen, Perspektiven und Probleme der Forschung zur mittelniederdeutschen Literatur und Sprache einführten, zweitens die Textauswahl, die sowohl die schriftliche Überlieferung im Sinne eines erweiterten Literaturbegriffs repräsentierte (z. B. Zeugnisse des Rechts- und Verwaltungsschrifttums), als auch zentrale Vertreter der literarischen Produktion im engeren Sinne aus den Bereichen Lyrik, Spiel und Epik, und drittens die titelgebende Schwerpunktsetzung auf die Bereiche ‚Literatur‘, ‚Sprache‘ und ‚Medien‘. Tiefergehende Einsichten in diese Bereiche sollten die einzelnen Lehreinheiten am Beispiel ausgewählter Texte ermöglichen – beispielsweise die variablenlinguistische Analyse der Rostocker Burspraken und des Rostocker Liederbuchs wie auch exemplarische Lektüren und Interpretationen von Stücken aus dem Niederdeutschen Gesangbuch von 1525 sowie von Auszügen aus dem Redentiner Osterspiel und dem Reynke de Vos von 1539. Das „vielfältige Programm“, die „Mischung aus überblickshaften Einführungen und detaillierteren Fallstudien“ und „die thematische Breite bei gleichzeitigem Bezug der Lehreinheiten aufeinander“ sind in der Evaluation durchweg positiv hervorgehoben worden. Hingegen hätten sich die Teilnehmenden mehr Zeit für die vertiefende Arbeit an einzelnen Texten gewünscht und regten daher vereinzelt an, entweder den zeitlichen Rahmen der Sommerakademie auszudehnen oder aber die Textauswahl zu reduzieren.

 

In den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Rostock und im Stadtarchiv Rostock erhielten die Teilnehmenden die Möglichkeit, zentrale mittelniederdeutsche Schriftzeugnisse, wie beispielsweise eine Sachsenspiegel-Handschrift aus dem 14. Jahrhundert, den Rostocker Druck des Reynke de Vos von 1539 aus der Offizin von Ludwig Dietz oder das Lübecker Weistum von 1267 im Original in Augenschein zu nehmen und einen Eindruck von der Materialität der mittelniederdeutschen Überlieferung zu gewinnen. Ergänzt wurde der Schwerpunkt ‚Medien‘ mit einer Führung zu einigen mittelniederdeutschen Inschriften in der Stadt Rostock, wie beispielsweise zu der Kanzelinschrift in der Universitätskirche von 1616 und zu den Ablassinschriften am Südportal der Marienkirche aus der Zeit um 1400. Einen besonderen Höhepunkt bildete der öffentliche Abendvortrag von Prof. Dr. Ingrid Schröder am Mittwochabend im Hauptgebäude der Universität Rostock. Frau Schröder, Professorin am Institut für Germanistik der Universität Hamburg und dort Leiterin der Abteilung für Niederdeutsche Sprache und Literatur, hatte zuvor die Sitzungen in den Sondersammlungen und im Stadtarchiv begleitet und kam in ihrem Vortrag „Zur Textkultur der mittelalterlichen Hansestadt“ u. a. auf jene Materialien zurück, die die Teilnehmenden zuvor zusammen mit ihr in Augenschein genommen hatten. Die „Arbeit an den Überlieferungszeugen“ hat die Teilnehmenden besonders angesprochen und wurde als „eine echte Bereicherung“ der Sommerakademie aufgefasst.

 

Die kritischen Diskussionsbeiträge und interessierten Nachfragen seitens der Teilnehmenden betrafen u. a. die folgenden vier Schwerpunkte:

  • die Charakterisierung des mittelniederdeutschen Sprach- und Literaturraums („städtisch“ , „hansisch“ usw.),
  • das Verhältnis des Mittelniederdeutschen zu angrenzenden Sprachen und Literaturen (z. B. die Wechselbeziehungen zum niederländischen Sprachraum) sowie die spezifischen Rezeptions- und Transferphänomene (z. B. die Frage nach Bearbeitungskonventionen bei Übersetzungen aus dem Hochdeutschen, Niederländischen oder Lateinischen ins Mittelniederdeutsche oder nach dem Einfluss oberdeutscher Drucker auf die mittelniederdeutsche Orthographie),
  • die Anwendbarkeit, Aussagekraft und Weiterentwicklung der variablenlinguistischen Methode und damit verbunden den Kanzleibegriff der Niederdeutschen Philologie und
  • den Status des Mittelniederdeutschen im Germanistikstudium an den deutschen Universitäten.

 

Das Organisationstermin bedankt sich bei Prof. Dr. Christian Schmitt-Kilb für die freundliche Begrüßung der Teilnehmenden seitens der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock, bei Silvia Sobiech, Cornelia Chamrad, Christiane Michaelis und Heike Tröger aus den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Rostock sowie bei Bodo Keipke vom Stadtarchiv Rostock für die Möglichkeit, die im Rahmen der Sommerakademie thematisierten Handschriften und Drucke im Original in Augenschein nehmen zu können, bei Dr. Steffen Stuth, Leiter des Kulturhistorischen Museums Rostock, für die Führung durch die Ausstellung „Menschen – Wissen – Lebenswege“ anlässlich des 600sten Geburtstages der Universität Rostock und bei Prof. Dr. Ingrid Schröder für die Bereitschaft, mit Ihrem Abendvortrag eine Zusammenschau der mittelniederdeutschen Textwelt in der Hansestadt zu bieten.

 

Ein besonderer Dank gilt darüber hinaus dem Institut für Germanistik und der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock sowie auch dem Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern e. V. für die großzügige finanzielle Unterstützung der Veranstaltung, die es u. a. ermöglichte, den Teilnehmenden einen Großteil der Reisekosten zu erstatten.

 

Ein herzliches Dankeschön gilt Madlen Reimer und Clemens Golz für die vielfach gelobte „hervorragende Versorgung“ vor, zwischen und nach den Lehreinheiten.

 

Zu guter Letzt sei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihr Interesse und die vielen anregenden Fragen, Kommentare und Hinweise sehr herzlich gedankt.


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