Biografische Skizze zu Uwe Johnson

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Biographischer Abriss zu Uwe Johnson

Uwe Johnson wurde am 20.7.1934 in Kammin (heute: Kamien Pomorski) geboren. 1940 wurde er eingeschult und wechselte im Sommer 1944 auf eine "Deutsche Heimschule". Im Februar 1945 verlässt er die Schule, seine Familie flieht nach Mecklenburg, wo sie 1946 nach Güstrow zieht. Johnsons Vater, der 1945 in die Ukraine deportiert wurde, wird 1948 für tot erklärt. Von 1948 bis 1952 besucht Uwe Johnson die John-Brinckman-Oberschule in Güstrow. Von 1952 bis 1954 studiert er Germanistik in Rostock, die nächsten beiden Jahre in Leipzig.

In Rostock weigert er sich, die staatliche Verleumdung der Jungen Gemeinde zu unterstützen, weshalb er exmatrikuliert wird. Im Zuge der staatlichen Schadensbegrenzung nach dem 17. Juni 1953 wird Johnson wieder zum Studium zugelassen. In Leipzig entstehen wesentliche und prägende Freundschaften für ihn; bei Prof. Hans Mayer schreibt er eine Diplomarbeit über Ernst Barlachs Der gestohlene Mond. Mayer vermittelt schließlich Johnsons erstes Manuskript an Peter Suhrkamp, nachdem es bei mehreren ostdeutschen Verlagen abgelehnt wurde. Der Roman erscheint erst 1985 posthum unter dem Titel Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953. Aus der Geschichte einer Abiturklasse wird die Geschichte der Begründung einer Flucht vom Osten in den Westen.

Johnsons Mutter verlässt mit seiner Schwester 1956 die DDR. Er bleibt in der Demokratischen Republik, übersetzt Herman Melvilles Israel Potter ins Deutsche und überträgt das Nibelungenlied aus dem Mittelhochdeutschen. Zum Erscheinen seines Romans Mutmaßungen über Jakob im Jahr 1959 zieht Johnson nach Westberlin. 1961, im Erscheinungsjahr von Das dritte Buch über Achim, gerät er in die Schlagzeilen, weil Hermann Kesten behauptet, Johnson habe den Mauerbau gerechtfertigt, und Außenminister Heinrich von Brentano dies im Bundestag wiederholt. Johnson widerlegt Kesten und Brentano durch einen Tonbandmitschnitt.

Nach den ersten Romanen einigt sich die Kritik zu Johnsons Missfallen auf das Etikett "Dichter der beiden Deutschlands". In beiden Büchern werden Geschehnisse in der DDR und die Auswirkungen politischer Ereignisse auf den individuellen Lebenslauf dargestellt. Beide Male reflektiert die komplizierte Erzählsituation die problemorientierte, sich der einfachen Deutung widersetzende Behandlung des Stoffes.

1962 heiraten Uwe Johnson und Elisabeth Schmidt, im selben Jahr wird ihre Tochter geboren. Johnson ist Stipendiat der Villa Massimo. Er überträgt John Knowles' A Separate Peace (In diesem Land) ins Deutsche. Für den Westberliner Tagesspiegel bespricht er 1964 Sendungen des von der westdeutschen Presse boykottierten Ostfernsehens; die Texte liegen inzwischen unter dem Titel Der 5. Kanal vor. Karsch und andere Prosa, ein Band mit Erzählungen, erscheint ebenfalls 1964, ein Jahr später der Roman Zwei Ansichten. Johnson gibt Bertolt Brechts Me-ti. Buch der Wendungen heraus. Von 1966 bis 1968 lebt die Familie Johnson in New York, an der Upper Westside in Manhattan. Auf Vermittlung von Helen Wolff arbeitet Uwe Johnson das erste Jahr als Schulbuchlektor bei Harcourt, Brace & World und erhält im zweiten Jahr ein Stipendium der Rockefeller Foundation. 1967 erscheint unter dem Titel Das neue Fenster ein deutschsprachiges Lesebuch für die High School, das er zusammengestellt hat. Zu den wichtigen Bekanntschaften in New York zählen neben Helen Wolff auch Hannah Arendt und Heinrich Blücher.

Nach Berlin mitgebracht hat Johnson den Plan zu den Jahrestagen. Parallel zu der Arbeit an diesem Vorhaben führen Uwe und Elisabeth Johnson ausführliche Gespräche mit der Journalistin Margret Boveri, mit der Absicht, ihr bei der Darstellung ihres Lebens zu helfen. 1977, nach ihrem Tod, gibt Uwe Johnson ihre Autobiographie unter dem Titel Verzweigungen heraus.

1970 erscheint der erste Band des Romans Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl, 1971 der zweite und 1973 der dritte. Der vierte Band schließt das Projekt zehn Jahre später ab. Gesine Cresspahl, geb. 1933, die Protagonistin des Romans, erzählt ihrer Tochter im Verlauf eines Jahres 1967/68 in New York die Familiengeschichte. Der Bogen reicht von den frühen dreißiger Jahren in Mecklenburg bis zum Vietnamkrieg und dem Prager Frühling. Die Verbindung von Historie und Familiengeschichte bestimmt formal wie inhaltlich den Roman.

Uwe Johnson lektoriert Max Frischs Tagebuch 1966–1971. 1972 wird er zum Vizepräsidenten der Akademie der Künste Westberlin gewählt. In dieser Eigenschaft organisiert er zusammen mit Hans Mayer und Karin Kiwus ein Kolloquium zum Werk Samuel Becketts. 1974 erscheint Eine Reise nach Klagenfurt, ein ebenso elaborierter wie anrührender Nachruf auf Ingeborg Bachmann.

Im selben Jahr ziehen die Johnsons nach Sheerness on Sea, auf der englischen Kanalinsel Sheppey gelegen. 1975 veröffentlicht Johnson eine Aufsatzsammlung unter dem Titel Berliner Sachen und gibt anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Suhrkamp-Verlags den Band Max Frisch Stich-Worte heraus. Die Nacherzählung des Philipp Otto Runge-Märchens Von dem Fischer und seiner Frau erscheint 1976 im Insel-Verlag.

1977 wird Johnson Mitglied der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, aus der er zwei Jahre später formlos wieder austritt. An der Frankfurter Universität hält er 1979 eine Poetikvorlesung, die ein Jahr später in veränderter Fassung unter dem Titel Begleitumstände erscheint. Dort macht er die Trennung von seiner Frau öffentlich. Für den von Jürgen Habermas herausgegebenen Band 1000 der edition suhrkamp trägt Johnson die Geschichte Ein Schiff bei. In der Festschrift zu Max Frischs 70. Geburtstag erscheint 1981 die Skizze Ein Verunglückter.

Mit dem 4. Band der Jahrestage ist 1983 das Hauptwerk vollendet. Er erscheint zusammen mit dem von Rolf Michaelis herausgegebenen Kleinen Adressbuch von Jerichow und New York, das den Zugang zum Roman erleichtern soll. Die Lesereise nach der Buchmesse muss aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden.

Am 13. März 1984 wird Uwe Johnson in seinem Haus in Sheerness tot aufgefunden.

Kontakt

Prof. Dr. Holger Helbig
Institut für Germanistik
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