Doktoranden
Laufende Promotionsprojekte
Anke Bastrop | Im Sagen schweigen
Formen des Schweigens bei Angela Krauß
Die Darstellung des Schweigens spielt in Krauß’ Œuvre von Anfang an eine Narrationsräume initiierende Rolle. Während das Schweigen in den früheren Texten als Allegorie (Stilleben mit Amphibie) seinen Ausdruck findet, als Konsequenz figurenpsychologischer Dispositionen vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Umstände in der DDR (Das Vergnügen, Der Dienst) oder als poetologische Denkfigur (Die Gesamtliebe und die Einzelliebe), verändert sich die Darstellung des Schweigens in den jüngeren Texten insofern als es verstärkt über die Form vermittelt wird. In den zuletzt erschienen Bänden Im schönsten Fall und Eine Wiege etwa vollzieht sich die Darstellung des Schweigens vor dem Hintergrund virtueller Wirklichkeitswahrnehmung und deren zum Fragment strebenden Formen über Enjambements, Fragmente, Bruchstellen und das Einbeziehen von Fotografien in den Text.
Ziel der Arbeit ist es, unter den Aspekten Flüchtigkeit, Leben und Schreiben sowie Darstellung des Schweigens aufzuzeigen, welche Veränderungen die Formen des Schweigens in Krauß’ Œuvre von den frühen Texten bis in die jüngsten Veröffentlichungen hinein genommen haben. In der Forschung ist Krauß’ Werk zunächst häufig komparatistisch und auf den Aspekt der Wendethematik beschränkt in Forschungsbeiträgen thematisiert worden. Erst 2012 fand in Chemnitz eine Internationale Tagung unter dem Titel Gefühlswissen. Zur Poetik im Werk von Angela Krauß statt. Aus dieser ging der Sammelband Poetik des Zwischenraums. Zum Werk von Angela Krauß hervor. Zudem erschien 2015 eine Ausgabe des Magazins Text+Kritik zu Krauß’ Literatur, in der verstärkt poetologischen Fragestellungen nachgegangen wird. Die Arbeit steht damit in einem relativ jungen Forschungskonnex, in dem Krauß’ Texte seit einigen Jahren unter erweiterten Aspekten betrachtet werden.
Julia Eimicke | Literarische Spätwerke und ihre Rezeption
Literarischen Spätwerkkonzepten liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Gewissheit vom nahen Tod das künstlerische Schaffen grundlegend verändert. Unter welchen Bedingungen jedoch ein Werk überhaupt erst als Spätwerk wahrgenommen wird, welche Textmerkmale in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen und welche Funktionen die Kategorisierung als Spätwerk konkret für Autoren und Leser erfüllt, ist von der Forschung bislang nicht zufriedenstellend herausgearbeitet worden. Dies zu ändern, ist eine wesentliche Zielsetzung des Promotionsvorhabens „Literarische Spätwerke und ihre Rezeption“. Auf Basis einer umfangreichen Sichtung der theoretischen Grundlagen wird erstmals eine funktional ausgerichtete Typologie der einflussreichsten Spätwerkkonzepte erarbeitet. Ausgehend von dieser Typologie werden zwei beispielhafte Spätwerke im Hinblick auf ihre produktions- sowie rezeptionsästhetische Bedeutung analysiert. Die Wahl zweier so unterschiedlicher Autoren wie Max Frisch und Wolfgang Borchert ermöglicht eine kontrastive Darstellung unterschiedlich gelagerter Bedeutungen von spätem Schreiben und verdeutlicht so die große Spannbreite und Wirkungskraft von Spätwerk-Narrativen. Nicht zuletzt erlauben die so gewonnen Kenntnisse Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Umgang mit den Themen Alter, Tod und Sterblichkeit.
Martin Fietze | »Kinder nehmen Regen mit auf die Reise«
Reise(n) als Handlung, Thema und Motiv im Erzählwerk Uwe Johnsons
Viele der Figuren Uwe Johnsons sind ständig mit unterschiedlichen Transportmitteln in verschiedenen (Kultur-)Räumen unterwegs. Sie teilen mit ihrem Autor die biographische Erfahrung von Entwurzelung und Migration infolge politischer Umstände. Johnson berichtete darüber in Reiseberichten; er bediente sich dokumentarischer Erzählstrategien, denen in der hybriden Gattung „Reiseliteratur“ eine besondere Funktion zukommt.
In meinem Dissertationsvorhaben untersuche ich daher das literarische Phänomen Reise(n) als Handlung, Motiv und Thema im Erzählwerk Uwe Johnsons. In einer dicht am Text geführten Analyse wird zwischen der kulturgeschichtlichen bzw. kulturwissenschaftlichen Auslegung des Reisephänomens, die die Alteritätserfahrung des Reisesubjekts (Stichworte: Fremde, Heimat, Interkulturalität) ins Zentrum rückt, und der literaturgeschichtlichen bzw. literaturwissenschaftlichen Erzähltradition (Stichworte: Raumsemantik, Lebensreise als Thema und Motiv, Gattungstheorie) vermittelt, um die autorspezifische Ausgestaltung der Thematik herauszuarbeiten. Dabei wird auch das in den Texten enthaltene kulturelle Wissen offengelegt. Der Gang ins Uwe Johnson-Archiv soll helfen, reiseliterarisches Quellenmaterial zu identifizieren und für die Interpretation des Werkes heranzuziehen. Die systematische Analyse integriert nicht nur neuere Perspektiven der Johnson-Forschung und bezieht diese auf das Gesamtwerk des Autors, sondern leistet auch einen Beitrag zur Themen- und Motivgeschichte in Bezug auf die Reise- und Migrationserfahrung in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts.
Isabel Haberkorn | Schweigender Sänger
Richard Leising, Lyriker und Dramaturg
Der Lyriker und Dramaturg Richard Leising (1934-1997) ist bis heute in vielerlei Hinsicht ein Rätsel. Weniger als 100 Gedichte hat Leising zu Lebzeiten veröffentlicht, welche jedoch von anderen Lyriker*innen, vor allem der Sächsischen Dichterschule, als vorbildhaft angesehen wurden. Jedes von Leisings Gedichten sei ein Meisterstück, schrieb beispielsweise Karl Mickel, Leisings Sprache sei von einer Präzision, welche die Epoche fasse, schrieb Rainer Kirsch. Sarah Kirsch bezeichnete Leising als ihr wirkliches Literatur-Institut. Leising selbst blieb meist im Verborgenen. Er entzog sich durch sein Schweigen einer Vereinnahmung durch den DDR-Literaturbetrieb und der Öffentlichkeit. Was über Leising bekannt ist, stammt überwiegend nicht von ihm selbst, sondern aus Aussagen, Rezensionen und Erinnerungen mit ihm befreundeter Künstler, Verleger und Journalisten. Diese vereinzelten Informationen sind subjektiv, lückenhaft und wiederholen die wenigen, scheinbar verbürgten Kenntnisse über Leising. Aus dem offensichtlichen Widerspruch zwischen dem Vorbildcharakter Leisings und seinem Bekanntheitsgrad resultieren Fragen, denen in dem Dissertationsprojekt nachgegangen wird: Wie kann es sein, dass ein Lyriker, der wesentlich bekannteren Künstler*innen als Vorbild diente, selbst kaum bekannt ist? Durch welche Faktoren wurde diese Entwicklung beeinflusst? Was zeichnet Leisings Gedichte aus, was erklärt ihren Status als Vorbild? Welche der wenigen bekannten Informationen über Leising sind wahr – und welche Legende? Zur Beantwortung dieser Fragen wird mithilfe von umfangreichem Quellenmaterial aus Leisings Nachlass zum einen Leisings Lebensweg biografisch aufgearbeitet und kontextualisiert, zum anderen wird durch eine textgenetische Analyse ein Blick in seine Werkstatt gegeben. Ziel des Dissertationsprojekts ist es, erstmals umfassend Leisings Werk und Lebensweg darzustellen, seinen Motivationen und Arbeitsweisen auf den Grund zu gehen, und damit zu zeigen, wodurch sich Leising trotz seiner geringen Anzahl von Veröffentlichungen den Ruf des genialen Meisters erwarb.
Fabian Kaßner | Paradigmenwechsel in der Editionswissenschaft
Über den Wandel beim Edieren
Von der Schreibfeder, über die Schreibmaschine, bis hin zum Computer. Die Editionsarbeit schaut auf eine lange Tradition zurück, in der sie bereits einige Änderungen erfahren durfte. Ohne den historischen Editionen ihre Innovationen und den Editoren ihre damaligen Herausforderungen kleinreden – oder gar absprechen – zu wollen, lässt sich doch feststellen, dass die aktuellen Entwicklungen die wohl größten Herausforderungen und zugleich größten Chancen für die Editionswissenschaft darstellen.
Durch den Einzug der Digital Humanities in die Projekte steht die Geisteswissenschaft nun erneut in einem Wandel, der die Arbeit der Editorinnen und Editoren auf den Kopf stellt und sie zwingt, ihr „klassisches“ Arbeitsfeld durch neue Methoden zu ergänzen, die vorher weit weg schienen.
Der Schritt von der Schreibmaschine zum Computer ist rein technisch gesehen enorm. Für den Nutzer blieb die Tastatur jedoch sehr ähnlich zur Schreibmaschine und das Word-Dokument ist optisch noch immer einem Blatt Papier nachempfunden. Der Schritt von Word zu XML, der de-facto-Standard unter den Auszeichnungssprachen, jedoch ist einer, der mit altbekannten Konventionen bricht und eine große Herausforderung darstellen kann. Das damalige Blatt Papier zeigt sich in einem komplett neuen Gewand und versteckt sich hinter spitzen Klammern. Diese Veränderungen bringen jedoch auch neue Möglichkeiten mit, die allerdings beim Bearbeiten schon mitgedacht und geplant werden sollten. Man muss also von ihnen wissen.
Das Zielmedium ist nämlich nicht mehr „nur“ die zwei-dimensionale Oberfläche des Blattes, dessen Grenzen schon lange bekannt und herausgearbeitet sind, sondern ist nun der digitale Raum, mit seinen schier endlosen Möglichkeiten der Präsentation. Im Umkehrschluss bedeutet das, jedoch nicht nur Herausforderung, sondern auch die Chance, dass Fragen gestellt und beantwortet werden können, die den Rahmen eines Buches gesprengt hätten.
Für die Editorinnen und Editoren bedeutet das ein enormes Umdenken. Einerseits bedingt durch den Wechsel der Arbeitsmittel, andererseits durch den Wechsel des Zielmediums. Nun kann – und muss – sich auch in Feldern der Datenanalyse, des Webdesigns, des (Bild-)Datenbankmanagements, der Backend- und Frontendarbeit, etc. pp. bedient werden und zumindest ein Grundverständnis bestehen, um zu wissen, was man denn eigentlich möchte und benötigt.
Marc Lemke | Sinnstiftung mit Text und Ding
Eine Theorie der musealen Kommunikation
Museen sind langweilig, aufregend, unverständlich, Lernorte, Erlebniswelten, gut besucht, Institutionen, Orte der Deutungsmacht, chronisch unterfinanziert, bieten Kontemplation, Debatten, Stararchitektur, Selbsterkenntnis, koloniale Altlasten, Forschungsergebnisse, Aura und Events, verkommen zu Disneylands, sind inklusiv, partizipativ und seit jeher Treffpunkt der Bildungselite. Fragt man heute, was ein Museum sei, klingen die Antworten erstaunlich widersprüchlich. Vom Feuilleton bis zu den Besucher*innen und Nicht-Besucher*innen, von der Museologie zu den colonial studies, der Soziologie und den Museumsdirektor*innen herrscht Perspektiven-Vielfalt.
Die hat Konsequenzen, insbesondere für das Verständnis dessen, was bei einem Museumsbesuch eigentlich passiert.
Das Ziel meines Vorhabens besteht darin, dem Sprechen über Ausstellungen im Museum eine theoretische Grundlage zu geben. In diesem engen Sinne ist das Vorhaben museologisch. Für die Entwicklung der Theorie werden neben philosophischen, kulturwissenschaftlichen, psychologischen, soziologischen, sprach- und literaturwissenschaftlichen Theorien auch Befunde der Neuro- und Kognitionswissenschaften, der Museumsstatistik und Besucherforschung als Widerstände in der Theoriebildung berücksichtigt. In diesem weiten Sinne ist die Untersuchung kommunikations- und kulturtheoretisch.
Die Theoriebildung erfolgt in zwei Schritten: Zuerst wird das Museum als eine historisch gewachsene Institution bestimmt, aus deren Geschichte ein genauer einzugrenzendes Verständnis des Ortes resultiert, das sich im Verhalten der Besucher*innen und ihren Versuchen, die Ausstellung zu verstehen, niederschlägt. Anschließend untersuche ich das Phänomen der musealen Wahrnehmung. Es wurde bereits in einschlägigen Beschreibungen des Museums einbezogen, aber keinesfalls hinreichend dargestellt: Zwar besteht Konsens darüber, dass der Anblick von Dingen wesentlich etwas mit Sinnstiftung in Ausstellungen zu tun hat – aber auf welche Weise Wahrnehmung und Wissen überhaupt miteinander zusammenhängen können, ist ein ungelöstes Problem. Mit einem Modell, das verschiedene Arten von Wissen mit Wahrnehmung und Materialität in Verbindung setzt, werde ich hierfür eine Lösung vorschlagen.
Das, was dabei herauskommt, ist eine Theorie der musealen Kommunikation, die ein umfassender Vorschlag ist, auf welche Weise die Begegnung zwischen Besucher*innen und Ausstellungen in gegenwärtigen Museen gedacht werden kann. Die Applizierung dieser Theorie auf einschlägige Beschreibungen des Museums erlaubt schließlich deren Korrektur und Präzisierung.
Yuko Nishio | Zwischen Heimat und »Nicht-Heimat«
Zum Heimatkonzept in Uwe Johnsons »Jahrestage«
Das Wort „Heimat“ hat einen vielschichtigen geschichtlichen Hintergrund. Der Begriff, der bis zum Ende des 18. Jahrhunderts überwiegend als Synonym für „Herkunftsort“ gebraucht wurde, hat in den letzten 200 Jahren einen großen Wandel erfahren: politische Umdeutung im 19. Jahrhundert, Entwertung unter dem NS-Regime und Befreiung vom ideologischen Ballast nach dem 2. Weltkrieg. In den 90er Jahren wurde das Verständnis von Heimat anlässlich der Wiedervereinigung Deutschlands abermals diskutiert.
In der Gegenwart, dem Zeitalter der Globalisierung und Massenmigration, wird der Heimatbegriff erneut erweitert. Die uneingeschränkte Mobilität stellt den traditionellen Heimatbegriff, der mit Herkunft und langfristiger Sesshaftigkeit assoziiert wird, von Grund auf in Frage: Was ist Heimat, oder was kann alles Heimat sein? Braucht der Mensch überhaupt eine Heimat? Einerseits scheint das Bedürfnis nach lokaler Bindung in der heutigen Welt zurückzugehen, andererseits entsteht Heimat – insbesondere nach deren Verlust – immer wieder neu.
Hinsichtlich der Heimat-Thematik gilt Uwe Johnsons vierbändiges Hauptwerk Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl als ein Roman von hoher Aktualität. Bisherige Untersuchungen zum Heimatkonzept in den Jahrestagen sind meist auf den Heimatentwurf der Protagonistin Gesine ausgerichtet. Es wird gefragt, welche Orte sie als ihre Heimat betrachtet, wie sie mit deren Verlust umgeht, ob und wo sie eine neue Heimat finden könne – und auf welche Weise davon erzählt wird. Dabei wird Heimat als etwas Selbstverständliches verstanden, an dessen Wesen nichts Zweifelhaftes ist.
Diese Selbstverständlichkeit erscheint mir problematisch. Ausgehend von den bisherigen Überlegungen möchte sie grundlegend erweitern, indem ich frage: „Was ist überhaupt Heimat?“ und „Was alles kann Heimat sein?“ Ich möchte den Begriff Heimat im Spannungsfeld zwischen Raum, Zeit und Identität verorten und das das Heimatkonzept in den Jahrestagen dementsprechend anhand vielfältiger Phänomene verfolgen. Die Variationen des Konzepts lassen sich unter den Aspekten „Heimat“ bzw. „Nicht-Heimat“ (negative „Heimaten“, die weder Vertrauen, Sicherheit noch Geborgenheit versprechen), „Fremde“ und „Heimatlosigkeit“ fassen. Der analytische Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der Untersuchung der um Gesine angeordneten Figuren und ihrer Vorstellungen von Heimat. Dabei möchte ich auch erörtern, wie die verschiedenen Konzepte von Heimat erzählerisch zusammengeführt werden, wobei medienwissenschaftliche, soziologische und philosophische Perspektiven berücksichtigt werden sollen. Ziel meines Projekts ist es, die diversen Heimatbilder, die den Roman durchziehen, zu versammeln.
Abgeschlossene Promotionsprojekte
Dr. Kristin Felsner | Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung
Christa Wolf und Uwe Johnson
Christa Wolf und Uwe Johnson wurde immer wieder ein »literarischer Werkdialog« (Hoppe) nachgesagt. Ihre Romane standen dabei jedoch für vermeintlich unterschiedliche deutsche Literaturen. Nach dem Ende der deutschen Teilung war es an der Zeit, die beiden kanonischen Autoren und ihre Werke im Rahmen einer deutschen Literaturgeschichte ins Verhältnis zu setzen.
In der vorliegenden Studie vertreten Wolf und Johnson zwei Perspektiven auf die deutsche Geschichte, zwei Arten des Umgangs mit dem Konflikt zwischen Staat und Individuum und zwei Möglichkeiten, von Heimat und Hoffnung zu erzählen. Neben zentralen poetologischen Schriften werden Johnsons »Mutmassungen über Jakob«, »Das dritte Buch über Achim« und »Jahrestage« sowie Wolfs »Geteilter Himmel«, »Nachdenken über Christa T.« und »Kindheitsmuster« analysiert. Es ist die erste deutschsprachige Monographie zu diesem Thema. Sie fasst die bisherige Forschung kritisch zusammen und bildet inzwischen einen festen Bezugspunkt für die Debatte um die deutschsprachige Literatur in der Phase der Zweistaatlichkeit.
Dr. André Kischel | »wofern man nur richtig zu lesen versteht«
Weder Lektor noch Autor - der Student Uwe Johnson
Die Untersuchung befasst sich mit den von Uwe Johnson während seines Germanistikstudiums (1952–1956) verfassten Studienarbeiten. Sie geht der Frage nach, was diese Elaborate über die literarische und auch lebensweltliche Sozialisation des späteren Autors verraten können. Betrachtet werden sowohl die verhandelten Gegenstände, die Methoden ihrer Erarbeitung und Darstellung, und nicht zuletzt die sie konstituierenden Umstände des Betrachtungszeitraums. Die Studienarbeiten verweisen zum einen auf die spätere Autorschaft, zum anderen kommt ihnen eigene Bedeutung als Studien über Literatur zu.
Dr. Stefanie Kohl | Der repräsentative Zusammenhang der Dinge
Formen des Wissens und die Modi ihrer Inszenierung in musealen Kontexten
Das Promotionsvorhaben beschäftigt sich mit dem Museum als einem Ort des Wissens. Anhand beispielhaft ausgewählter Wissenschaftsmuseen werden die dort ausgestellten Exponate, einzelne ‚Dinge‘, ins Zentrum der Untersuchung gerückt. Ziel der Arbeit ist es, den Zusammenhang zwischen den stellvertretend durch die Exponate dargestellten Formen von Wissen und die Art und Weise ihrer Inszenierung zu analysieren. Wissen wird dabei als eine sich stetig transformierende Form der Wirklichkeitswahrnehmung, das Museum und hier insbesondere die museale Ausstellung als Medium des Wandels von Wissen verstanden.
Die Überlegungen gehen von einer räumlichen Dreiteilung des Museums aus: Sammlung/Depot, ständige Ausstellung und Sonderausstellung. Diese Bereiche, so die Grundannahme, unterscheiden sich wesentlich durch ihren Umgang mit den jeweiligen Objekten, sprich den ‚Dingen‘, die jeden einzelnen der drei Bereiche ausmachen. Der unterschiedliche Umgang mit den ‚Dingen‘ in jedem der drei Bereiche führen zu einem jeweils anders gearteten spezifischen Wissen: In der Sammlung ist es ein Wissen, das disziplinär und konservatorisch geprägt ist.
Die ständige Ausstellung, also ausgewählte Objekte aus verschiedenen Sammlungen, greift auf thematisch breites und historisch dominiertes Wissen zurück. Gleichzeitig rekurriert sie auf vorhandene Konzepte der Präsentation. Sie ist über mehrere Jahre nahezu unverändert im Museum präsent und damit auf die Darstellung eines langfristig gültigen Wissens hin ausgerichtet. Sie hat daher nicht den Anspruch aktuellste Entwicklungen und Forschungsergebnisse abzubilden. Dies obliegt der Sonderausstellung. Diese schafft augenscheinlich einen besonderen Reiz für einen Museumsbesuch. Die Präsenz der Sonderausstellung ist ein maßgeblicher Faktor, der zum Ansteigen der Besuchszahlen eines Museums führt, was von den Ausstellungsmachern auch berücksichtigt wird. In der Sonderausstellung dominiert klar thematisch zugespitztes und auf Aktualität ausgerichtetes Wissen, das durch den Einsatz verstärkt besucherorientierter Präsentationsformen, beispielsweise Touchscreens oder Audio- und Videobeiträge, inszeniert wird. Man sichert sich die Aufmerksamkeit des Publikums, indem man direkter auf den Besucher eingeht.
In meiner Dissertation möchte ich die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bereichen genauer bestimmen und in einer Theorie des Museums zusammenfassen. Dabei werde ich das theoretische Modell anhand empirischer Fallstudien entwickeln. Eine Arbeitstechnik, die ich bereits in meiner Magister-Arbeit zu „Strategien der Präsentation im Museum“ anhand der Berliner WeltWissen-Ausstellung erprobt habe. Das Vorgehen ist für die Zwecke der Untersuchung von Sammlungen und ständigen Ausstellungen zu differenzieren und auszuweiten.
Dr. Paul Onasch | Biblische Diskurse im Prosawerk Uwe Johnsons
In einem Interview aus dem Jahre 1969 bekundete Uwe Johnson, dass er keine religiösen Bindungen habe und aus der Kirche ausgetreten sei. Voraus ging dieser Loslösung allerdings eine religiöse Sozialisation in der eigenen Familie und im Konfirmandenunterricht, in dem er laut eines Mitschülers derjenige war, der „am besten in der Bibel Bescheid“ wusste.
Dass es für einen produktiven Umgang mit der Bibel religiöser Bindungen nicht bedarf, haben vor Johnson bereits Autoren wie Goethe oder Brecht gezeigt. Wie bei ihnen finden sich im literarischen Werk Johnsons zahlreiche Referenzen auf die Heilige Schrift.
Bereits in seinem ersten Roman Ingrid Babendererde bilden die Auseinandersetzungen um die Junge Gemeinde ein zentrales Motiv, das durch biblische Verweise auf die Sintfluterzählung, die christliche Nächstenliebe und das Pfingstwunder in besonderer Weise konnotiert wird.
Form und Frequenz biblischer Referenzen unterscheiden sich in den folgenden literarischen Werken Mutmassungen über Jakob, Das dritte Buch über Achim, Karsch, und andere Prosa sowie Zwei Ansichten und finden ihren Höhepunkt in den Jahrestagen sowie dem Fragment gebliebenen Heute Neunzig Jahr. Durch eine Vielzahl biblischer Zitate und Anspielungen werden zahlreiche Diskurse konstituiert und ein außergewöhnlicher Blickwinkel auf Johnsons literarische Auseinandersetzung mit mehr als fünfzig Jahren deutscher, europäischer und US-amerikanischer Geschichte ermöglicht.
Wissenschaftliche Auseinandersetzungen zur Bibelrezeption im Werk Uwe Johnson haben in den vergangenen Jahren zwar zusehends an Gewicht gewonnen, doch liegen bislang nur Analysen zu einzelnen Werken vor. Zudem beschränken sich die vorliegenden Arbeiten auf ausgewählte Aspekte biblischer Verweise, wohingegen eine systematische Gesamtschau bislang zu keinem Werk vorliegt.
Ziel meiner Dissertation ist es daher, Johnsons produktiven Umgang mit der Bibel in Form einer systematischen Gesamtschau monografisch aufzuarbeiten, um so verlässliche Aussagen über Umfang, Formen und Funktionen von Verweisen auf die Heilige Schrift im Prosawerk Johnson treffen zu können. Auf der Grundlage dieses Gesamtüberblicks soll in einem quasi prototypischen Verfahren analysiert werden, in welcher Form biblische Referenzen eigene Diskursfelder eröffnen bzw. bestehende Diskurse in einzelnen Werken und über Werkgrenzen hinaus erweitern.
Zudem wird der Frage nachzugehen sein, was durch den Bezug auf die Heilige Schrift gewährleistet wird, durch den Verweis auf andere Intertexte aber nicht geleistet werden kann. Darüber hinaus sollen theoretische Überlegungen sowie Typologien zur Intertextualitätsforschung in ihrer Anwendbarkeit auf einen modernen Autor wie Uwe Johnson und in ihrer Funktionalität in Verbindung mit der Konstitution von Diskursfeldern überprüft werden.
Dr. Jasmin Rittler | Das Briefwerk Uwe Johnsons
Die Untersuchung galt den bislang veröffentlichten Korrespondenzen Uwe Johnsons, also seinem brieflichen Austausch mit Siegfried Unseld, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Max Frisch, Fritz J. Raddatz, Hannah Arendt, Walter Kempowski und dem nicht in einer eigenen Edition erschienenen Briefwechsel mit Lotte Köhler. Hinzu kamen einige unveröffentlichte Briefe. Als erste Monographie zum Thema war die Untersuchung darauf ausgerichtet, einen grundlegenden Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit Johnsons Briefwerk zu schaffen, ein erstes Bild von Uwe Johnson als Briefschreiber zu geben. Erkenntnisleitend waren die Frage nach dem Selbstbild, das der Autor in seinen Briefen von sich entwirft, sowie die nach der Rolle, die die Briefe für Johnsons Gesamtwerk spielen. Briefe spielten für Johnson in der sozialen Ausgestaltung seiner Beziehungen eine große Rolle. Trotzdem oder gerade deshalb finden sich nur wenige Briefe, die Johnson als Privatperson greifbar machen. Die Verschwiegenheit in privaten Belangen sowie seine emotionale Kontrolliertheit sind in fast allen Briefen deutlich. Dem entspricht, dass in den Briefen politische Ereignisse und den Literaturbetrieb betreffende Aspekte großen Raum einnehmen. Ihre Darstellung erzeugt ein Bild von Johnson als Schriftsteller und Literaturkritiker, der als kreativer Künstler und Wortschöpfer, als Humorist und scharfer Beobachter, als richtende Instanz und emotionales Gewissen seiner Briefpartner erscheint. Er glänzt sowohl mit Fürsorglichkeit als auch mit Sarkasmus. Darüber hinaus zeigt sich, dass Johnson seine Briefe auch als literarische Werkstatt verstand. Sie lassen erkennen, welche biographisch grundierten Themen, Konstellationen und Episoden Johnson für Wert befand, literarisch bearbeitet zu werden. In dieser Hinsicht markieren die Briefe den Übergang von Biographie zum Werk.
Dr. Sabine Schild-Vitale | Poetik in Uwe Johnsons »Jahrestage«
Aus dem Leben von Gesine Cresspahl«
Die Dissertation entstand im Rahmen eines binationalen Promotionsverfahrens zwischen der Universität Rostock und der Università di Pisa.
In meinem Promotionsprojekt befasste ich mich mit der Poetik Uwe Johnsons (1934-1984). Ich untersuchte die literarische Gestaltung historisch bedingter Diskurse in seinem Hauptwerk, dem Roman Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl. In der Betrachtung des Romans möchte ich die verschiedenen Kontexte des Erzählten (historisch, ästhetisch, philosophisch) aufweisen und zeigen, auf welche Weise Johnson sie verarbeitet hat.
Der Roman Jahrestage ist über einen langen Zeitraum hinweg entstanden: von einer ersten Arbeitsphase im Jahr 1967 bis zum Abschluss des vierten Bandes im Jahr 1983. Schon aus diesem Grund lässt sich die Poetik Uwe Johnsons in ästhetisch-formaler Hinsicht nur zögerlich und bedingt literarischen Strömungen zuordnen. Weiterhin stellt die formale und thematische Komplexität der Jahrestage den Interpreten vor erhebliche methodische Probleme.
Allgemein wird gefragt, wie sich Wissen in den Jahrestagen konstituiert. Hierbei wird letztlich der Hypothese nachgegangen, ob Wissen unabhängig von dem jeweils im Roman behandelten Themenkomplex auf ähnliche oder gar identische Weise dargestellt wird.
Im Besonderen soll auf die Frage geantwortet werden, wie sich der Austauschprozess zwischen Text und Kontext vollzieht. Ich werde die verschiedenen Ebenen des Romans nachzeichnen und versuchen, dessen komplexe Verweisstruktur zu entwirren. Es soll also ein Beschreibungsmodell entwickelt werden, das speziell die strukturellen und thematischen Besonderheiten der Jahrestage sichtbar werden lässt.
Strukturelle und thematische Bedeutungszusammenhänge zu erkennen, bietet darüber hinaus auch die Möglichkeit, das Werk in seinem Entstehungskontext zu beleuchten. Somit lassen sich Schlüsse über Johnsons Erzählverfahren ziehen und zeigen, inwieweit Johnson den sozialen und mentalen Dimensionen der Entstehungszeit der Jahrestage ästhetisch und auch ethisch Rechnung getragen hat.
Dr. Henri Seel | »Es ist nicht einfach mit dem einfachen Leben, das werden die auch noch merken.«
Poetologien des Wissens im gegenwärtigen Erzählen vom Umzug aufs Land
Dr. Johanna Steiner | „Dichter-Dichte“ auf dem platten Land
Die Künstlerkolonie Drispeth als sozialer, politischer und künstlerischer Raum in der DDR
In den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts kauften zahlreiche namhafte DDR-AutorInnen in Drispeth und Umgebung alte Bauernhäuser auf, um dort die Sommermonate zu verbringen und sich zum Teil schließlich ganz dort niederzulassen. Dazu gehörten etwa Christa und Gerhard Wolf, Helga Schubert, Johannes Helm, Werner Lindemann, Wolf Spillner, Daniela Dahn, Joochen Laabs, Thomas und Carola Nicolaou, Joachim Seyppel und Claus B. Schröder. Das Promotionsvorhaben wird die literatur- und kulturhistorische Bedeutung der sogenannten Künstlerkolonie Drispeth erstmals aufarbeiten. Die Autorengruppe wird hinsichtlich dreier Aspekte untersucht: 1. als sozialer Raum, in dem die Autoren sowohl privat als auch künstlerisch in Netzwerken miteinander interagierten, 2. als künstlerischer Produktionsraum, in dem man einander beriet und beeinflusste und wo große Werke entstanden, in denen die Erlebnisse in Drispeth auf unterschiedliche Weise verarbeitet wurden, sowie 3. als politischer Raum, in dem das Zusammenleben der Autoren sowohl von den Mitgliedern als auch von der Staatssicherheit als politischer Akt aufgefasst wurde.
Prof. Dr. Holger Helbig
Institut für Germanistik
Gertrudenstraße 11, Torhaus, Raum 107
18057 Rostock
Tel.: +49 381 498 2540
E-Mail: holger.helbiguni-rostockde