Forschungsplattform "Niederdeutsch und Schule"

Digitales Repositorium der Quellen zur Behandlung der niederdeutschen Sprache und Literatur in den Schulen Norddeutschlands vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Mit einer Forschungsbibliographie

 

Kurzbeschreibung

Das Projekt zielt auf eine systematische Erfassung und digitale Präsentation schriftlicher Quellen zum Thema „Niederdeutsch und Schule“ vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Zu diesen Quellen gehören sowohl schulpraktische Schriften wie Lehrwerke, Lesebücher und Schulgrammatiken, in die niederdeutsche Elemente in verschiedener Form und mit unterschiedlicher Zielsetzung integriert sind, als auch didaktische, pädagogische und bildungspolitische sowie i.W.S. schulbezogene sprachprogrammatische und -pflegerische Texte, die das Niederdeutsche thematisieren (siehe nebenstehende Beispiele). Als Ergebnis des Projekts wird von den Projektpartnern der Universitäten Rostock, Greifswald und Oldenburg in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Rostock eine Forschungsplattform erstellt, die ein digitales Repositorium sowie eine Forschungsbibliographie umfasst und damit eine bislang nicht vorhandene Basis für weiterführende Forschungen bereitstellt. Der außergewöhnliche, bislang völlig unausgeschöpfte Erkenntniswert der präsentierten Quellen wird im Rahmen des Projekts durch erste „Tiefenbohrungen“ am Material vorgeführt, bei denen ausgewählte sprachhistorische, literaturwissenschaftliche, fachhistorische und bildungswissenschaftliche Fragestellungen bearbeitet werden.  

 

Projektbeteiligte

  • PD Dr. Birte Arendt (Universität Greifswald)
  • Prof. Dr. Andreas Bieberstedt (Universität Rostock)
  • JProf. Doreen Brandt (Universität Oldenburg)
  • Dr. Franziska Buchmann (Universität Oldenburg)
  • PD Dr. Klaas-Hinrich Ehlers (Universität Rostock)

 

Kooperationspartner

  • Universitätsbibliothek Rostock 

 

Projektlaufzeit

  • Vorbereitungen seit 2024
  • Antragstellung: 2026
  • beabsichtigte Laufzeit: 2 Jahre

 

Förderung

  • beabsichtigt ist die Beantragung einer Drittmittelförderung

 

Kontext

Mit dem Sprachenwechsel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen im Bereich der Schriftlichkeit seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert wird das Hochdeutsche in den Schulen Norddeutschlands sowohl Vermittlungsziel als auch Unterrichtssprache. In den nachfolgenden Jahrhunderten sieht sich das Schulwesen vor die Herausforderung gestellt, Kindern, insbesondere aus den unteren sozialen Schichten und dem ländlichen Raum, die weiterhin eine niederdeutsche Primärsozialisation durchlaufen und vielfach eine monovarietäre Sprachkompetenz aufweisen, die hochdeutsche Standardsprache in Wort und Schrift zu vermitteln. Die daraus resultierenden massiven pädagogisch-didaktischen und schulpraktischen Probleme werden seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in verschiedenen Formaten intensiv und kontrovers diskutiert, sowohl von Philologen, Schriftstellern, Pädagogen und interessierten Laien als auch in besonderer Weise von Schulpraktikern wie etwa Schulleitern und Volksschullehrern. Zugleich wird versucht, den gravierenden Problemen dialektsprechender Kinder beim hochdeutschen Spracherwerb durch die Entwicklung entsprechender Bildungsprogramme, Handreichungen, Lehrwerke und Grammatiken zu begegnen. Letztlich laufen diese pädagogisch-philologischen Bemühungen erst in den 1980er Jahren aus, zu einer Zeit also, in der die meisten Schülerinnen und Schüler bereits das Hochdeutsche als Erstsprache erwerben und dialektbedingte schulische Nachteile nicht mehr zu befürchten stehen. 

Seit dem 19. Jahrhundert beginnt man überdies, das Niederdeutsche zunehmend als Sprache mit eigenem kulturellen Wert zu betrachten und folgerichtig als eigenständigen Unterrichtsgegenstand zu adressieren, was sich erneut in der Publikation von sprachprogrammatischen und pädagogischen Schriften sowie schulpraktischen Texten wie Fibeln und anderen Lehrwerken niederschlägt. Seinen vorläufigen Endpunkt findet die Diskussion um das Niederdeutsche in der Schule in den gegenwärtigen Bemühungen um dessen Einbezug in den Deutschunterricht und die Etablierung eines eigenständigen Unterrichtsfachs Niederdeutsch im Kontext der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen. 

Der hiermit skizzierte mehrhundertjährige, vielfältig aufgefächerte Diskurs um das Thema Niedeutsch und Schule findet seinen Ausdruck in einer bislang nur in Ansätzen überschaubaren Vielzahl an praktischen und theoretischen Texten, die von der Forschung bislang weder systematisch erfasst noch in ihrer wissenschaftlichen Relevanz gewürdigt wurden. Der Erkenntniswert von schulpraktischen Lehrwerken und Handreichungen, von didaktischen und pädagogischen Schriften, von bildungspolitischen Dokumenten sowie von sprachkritischen und kulturpflegerischen Äußerungen zu diesem Thema geht hierbei weit über den Rahmen pädagogischer und bildungshistorischer Fragestellungen hinaus. Zwei Beispiele: So sind erstens als kontrastive Sprachlehrwerke und Grammatiken konzipierte Schulbücher, in denen das Niederdeutsche bzw. der norddeutsche Regiolekt als Fehlerquellen adressiert werden, von hohem sprachhistorischen Interesse, da sie präzise Auskunft über niederdeutsch-hochdeutsche Sprachkontaktphänomene und Sprachmischungen geben, die sich vor allem als niederdeutsche Interferenzen im hochdeutschen Sprachsystem zeigen. Sie erlauben auf diese Weise weitaus genauer als bislang möglich die Rekonstruktion von Formen historischer Mündlichkeit (vgl. Bieberstedt 2024). In literaturwissenschaftlicher Hinsicht lässt zweitens die Integration niederdeutscher literarischer Texte und die darauf bezogene Diskussion, an der sowohl Pädagogen als auch Autoren und Vertreter der niederdeutschen Kulturszene beteiligt sind, Phänomene literarischer Kanonbildung nachvollziehen. 

 

Korpus

Einbezogene Textsortenbereiche (vorläufige Systematisierung)

  1. schulpraktische Texte
  2. Paratexte und Erläuterungen zu schulpraktischen Texten (z.B. Hinweise zur Schreibung und Verwendung)
  3. schuldidaktische Texte
  4. Handreichungen für Lehrende im Schul- und Universitätsunterricht
  5. schulpädagogische Texte
  6. schulbürokratische Texte
  7. bildungspolitische Texte (Erlasse, Rahmenpläne)
  8. allgemeine pädagogische Texte (z.B. „Schulblätter“)
  9. sprach- und literaturkritische / sprach- und literaturideologische Texte

 

Vorarbeiten(z.B. Arbeiten, basierend auf dem Korpusmaterial [Vorträge, Aufsätze etc.], Digitalisierungen)

1. Aufsätze

Arendt, Birte / Bieberstedt, Andreas: Von „Ausgangssprache“ über „Sprachbarriere“ zur „Lehrvarietät“: Die Vermittlung des Niederdeutschen als Aufgabenbereich der Niederdeutschen Philologie in historischer Perspektive. In: Arendt, Birte / Buchmann, Franziska / Langhanke, Robert (Hrsg.): Integrative Niederdeutschdidaktik (Regionalsprache und regionale Kultur im Wandel. Mecklenburg-Vorpommern im ostniederdeutschen Raum; 8). Berlin u. a. In Vorb.

Bieberstedt, Andreas: „Mit Rücksicht auf die plattdeutsche Mundart“ – Die Schulgrammatik von Friedrich Wigger (1859) und die regionale Umgangssprache Mecklenburgs zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Rabanus, Stefan / Elmentaler, Michael (Hrsg.): Korpusanalytische Studien zur historischen Dialektologie (Germanistische Linguistik; 55/2). Baden-Baden 2024, S. 260-310.

Bieberstedt, Andreas: Eine hochdeutsche Grammatik für Mecklenburger. Friedrich Wiggers Schulgrammatik von 1859 als historische Quelle für die regionale Umgangssprache Mecklenburgs. In: Himstedt-Vaid, Petra u. a. (Hrsg.): Von Mund zu Ohr via Archiv in die Welt. Beiträge zum mündlichen, literarischen und medialen Erzählen. Münster / New York 2021, S. 71–91.

 

2. Vorträge

Arendt, Birte / Bieberstedt, Andreas: „Ausgangssprache“ – „Heimatsprache“ – „Sprachbarriere“ – „Lehrvarietät“. Das Thema „Niederdeutsch in der Schule“ im historischen und aktuellen Forschungsdiskurs und die Stellung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Vortrag, gehalten auf der 137. Jahrestagung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Hamburg, 11.6.2025. 

Bieberstedt, Andreas: Mecklenburgisches Hochdeutsch, Landeshochdeutsch, Missingsch: Struktur und Dynamik des norddeutschen Regiolekts Mecklenburgs im 18. und 19. Jahrhundert: Ein Problemaufriss. Vortrag, gehalten in der Reihe “SPIGL. Sprachwissenschaftliche Voträge am Institut für Germanistik in Leipzig”, am 24.6.2025

 

3. Digitalisierung urheberrechtsfreier Korpustitel

Bereits in der aktuellen Vorlaufphase des Projekts werden ausgewählte korpusrelevante Werke von der Universitätsbibliothek Rostock als Kooperationsleistung digitalisiert und auf den öffentlich zugänglichen Dokumentenserver RosDok (https://rosdok.uni-rostock.de/) bereitgestellt. Digitalisiert werden von der UB urheberrechtsfreie Titel aus den eigenen Beständen  bzw. aus antiquarischen Neuankäufen, die von der UB in Rücksprache mit den Projektpartnern getätigt werden. RosDok wird auf diese Weise als Plattform für einen Großteil des zukünftigen digitalen Korpus genutzt. Das geplante Repositorium wird darüber hinaus die bereits an anderen Standorten digital vorliegenden Bestände erfassen und daraufg verlinken, zudem wird angestrebt, eine Digitalisierung von in anderen Universitätsbibliotheken und Archiven vorliegende Titeln jeweils vor Ort zu veranlassen.