Rostocker Marbach-Stipendium

Stipendiaten des Rostocker Marbach-Stipendiums

Hier finden Sie kurze Berichte der bisherigen Stipendiaten über ihre Arbeitsaufenthalte im Deutschen Literaturarchiv Marbach a.N.

Isabel Haberkorn

»Schweigender Sänger. Der Lyriker Richard Leising«

Seit April 2012 promoviere ich bei Prof. Dr. Holger Helbig an der Universität Rostock zum Thema »Schweigender Sänger. Der Lyriker Richard Leising«. Im Herbst 2012 wurde mir das Rostocker Marbach-Stipendium zugesprochen. Im Rahmen dieses Stipendiums arbeitete ich vom 4. Januar bis 6. Februar 2013 mit dem Nachlass von Richard Leising im DLA Marbach.

Richard Leising war ein Dichter und Dramaturg in der DDR, der der sogenannten »Sächsischen Dichterschule« zugeordnet wird. Trotz der geringen Anzahl seiner Veröffentlichungen genoss er bei anderen Lyrikern sehr große Anerkennung. Meine Dissertation hat das Ziel, Leisings Werk in den Kontext der DDR-Literatur einzuordnen. Dabei soll unter anderem geklärt werden, welche Entwicklung es in Leisings poetologischem Selbstverständnis gab, inwiefern er als DDR-typischer Dichter zu bezeichnen ist und wie sich seine sich verändernde politische Wahrnehmung in der sprachlichen Gestaltung seiner Gedichte niederschlug.

In Leisings Nachlass finden sich neben anderen Aufzeichnungen auch Gedichte, Umarbeitungen und Vertonungen. Ich konnte feststellen, dass Leising deutlich mehr Gedichte verfasst hatte, als er letztendlich zur Veröffentlichung frei gab. Das Archivmaterial lässt eine klare politische und künstlerische Entwicklung erkennen. Die Ergebnisse meiner Arbeit im DLA Marbach sind essentiell für meine Dissertation: Sie ermöglichen eine gesicherte Argumentation.

Die Stipendiatenbetreuung in Marbach bot eine schnelle Orientierung. Wöchentliche Treffen aller Stipendiaten ermöglichten einen hilfreichen Erfahrungsaustausch. Im Rahmen eines Seminars stellt wöchentlich ein Stipendiat sein Thema Archivmitarbeitern, Mitstipendiaten, Interessierten und Gästen vor. Dadurch erhielt ich über mein Thema hinausgehend Anregungen aus unterschiedlichsten Fachgebieten. Auch der fachliche Austausch mit anderen Stipendiaten oder den Teilnehmern des Suhrkamp-Kollegs war für mich eine Bereicherung.

Die Mitarbeiter des DLA waren zu jeder Zeit sehr freundlich und hilfsbereit. Eine Führung gab einen guten Eindruck von der enormen Größe des unterirdischen Archivs. Die Informationen zur Herkunft und Lagerung der archivierten Objekte trug viel zu meinem eigenen Umgang mit den Handschriften bei. Die Arbeitsumgebung war so gestaltet, dass ich mich ganz auf mein Projekt konzentrieren konnte.

Der Aufenthalt im DLA war für mein Promotionsvorhaben grundlegend. Die Zeit, in der ich im DLA forschen durfte, habe ich darüber hinaus als bereichernd und motivierend empfunden. Es haben sich viele anregende Kontakte ergeben.

Aufgrund der Materialfülle konnte ich während meines ersten Aufenthalts meine Forschungen an Leisings Nachlass noch nicht beenden. Um meine Arbeiten abschließen zu können, habe ich beim DLA inzwischen einen Antrag auf ein Folgestipendium gestellt.


André Kischel

»Die Lektoratsarbeiten Uwe Johnsons«

Im Februar 2012 hatte ich die Gelegenheit, als erster Stipendiat des Rostocker Marbach-Stipendiums das Deutsche Literaturarchiv besuchen zu dürfen. Für meine Dissertation, die Johnsons Arbeit als Lektor zum Thema hat, gab es keinen besseren Ort. Kaum zwei Jahre zuvor war das Uwe Johnson-Archiv von Frankfurt am Main nach Marbach am Neckar umgezogen, und wurde hier neu erschlossen. Das hatte gewiss den Nachteil, dass das Material nur unter erschwerten Bedingungen zugänglich war. Die Mitarbeiter des Archivs gaben sich aber jede Mühe, meinen vielfältigen und teils umfangreichen Wünschen zu entsprechen. Ihnen sei hier ebenso gedankt wie der Peter Suhrkamp Stiftung für die Erlaubnis zur Einsicht sowie dem Institut für Germanistik der Universität Rostock und der Uwe Johnson-Gesellschaft, die gemeinsam das Stipendium ermöglichten. Im Zentrum meines Interesses standen vor allem Briefwechsel, in denen Johnson sich mit Kollegen über seine und deren Arbeiten verständigte. So geschehen etwa mit Max Frisch, Walter Kempowski, Fritz Rudolf Fries, der Übersetzerin Leila Vennewitz u.a. Einige der Briefe und andere Dokumente konnte ich in Marbach in Augenschein nehmen.

Großer Vorteil des Marbacher Archivs ist, dass sich hier Literatur und vielfältige Nachlassmaterialien versammeln. Es liegt in der Sache – und ist mit Sicherheit auch eine Gefahr – von Recherchen, dass diese nicht auf einzelne Aspekte beschränkt bleiben, sondern stets auch ein weiteres Umfeld zumindest geprüft werden muss. Das kann man für die neuere und neueste deutsche Literatur kaum an einem anderen Ort konzentrierter als in eben diesem Archiv. In vielen Fällen finden sich fehlende Briefe oder andere Materialien in anderen Nach- oder Vorlässen direkt vor Ort.

Zudem erfährt man als Stipendiat eine umfassende Betreuung, etwa mit einem wöchentlichen Seminar, bei dem sich die Stipendiaten gegenseitig ihre Forschungsvorhaben vorstellen, oder – etwas informeller – beim Stipendiatencafé.

Mein Forschungsaufenthalt im DLA hat mir viele erste Einblicke die ungeheure Materialfülle gegeben, die für mein Thema noch zu bearbeiten ist. Diese konnte ich vorher, allein auf Grundlage der bereits publizierten Briefwechsel und Lektorate, nur im Ansatz erahnen. Weitere Recherchen in Marbach, die auch andere Autoren im Zusammenhang mit meinem Thema betreffen, müssen und sollen also folgen.


Stefan Tuczek

»Die Idee der Utopie in Ernst Jüngers Romanen«

Ausgehend von meiner BA-Abschlussarbeit Im Janustempel des Titanen - Technikkult und Technikperversion in Ernst Jüngers Roman »Gläserne Bienen« soll die Utopieproblematik in Ernst Jüngers Erzählprosa in seiner MA-Abschlussarbeit aufgegriffen und analysiert werden.

In der MA-Arbeit sollen die fünf Romane Heliopolis, Besuch auf Godenholm, Gläserne Bienen, Eumeswil und Aladins Problem auf ihren utopischen Gehalt untersucht werden. Durch die Einzelanalysen soll herausgefunden werden, ob Jünger über den Zeitraum von 1949 bis 1983 ein zentrales Utopiemodell oder ob er jeweils verschiedene Ideen von Utopie entwickelt hat. Bei den Einzelanalysen sollen ebenfalls die jeweiligen verschiedenen Romanfassungen miteinbezogen werden, da Jünger seine Romane immer wieder einem Arbeits- und Umstrukturierungsprozess unterworfen hat, sodass die einzelnen Romane in ihren Fassungen immer einen anderen Utopiegehalt besitzen.

Durch die Einbeziehung der Fassungen kann herausgefunden werden, ob Jünger seine Romane nachträglich einem zentralen Modell der Utopie unterworfen hat und was er an seinen Romanen in Bezug auf Utopie verändert hat. Es sollen aber auch Briefwechsel und Arbeitsmaterialien von Jünger benutzt werden, da sich in diesen Materialien Aussagen von Jünger befinden könnten, die einen ganz anderen Blick auf die Problematik eröffnen können. Besonders interessant wären daher seine Briefwechsel, da Jünger ab 1949 versuchte, seine Leser und Bekannte rezeptionsgesteuert auf gewisse Aspekte in seinem Werk hinzuweisen. Damit kann der Fokus auf bestimmte Aspekte gelenkt werden, die vorher vielleicht nicht als utopisch identifiziert werden konnten.