Literarisches Lernen in inklusiven Lerngruppen (LLinkL)

Im Projekt LLinkL – Literarisches Lernen in inklusiven Lerngruppen – wird ein Beitrag zur Beforschung des pädagogischen Ansatzes der inklusiven Beschulung geleistet. Das Recht auch beeinträchtigter Menschen auf den Zugang zum gesamten Bildungssystem, das seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 besteht, bedeutet den Umbau des gegliederten Schulsystems. Es berücksichtigt Kinder, die zuvor noch nicht im Blick von Lehrkräften an Regelschulen waren: etwa mit eingeschränkten bzw. alternativen Zugangsmöglichkeiten zur Laut- und Schriftsprache oder mit starken körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Die Literarturdidaktik versucht derzeit zu ergründen, wie anspruchsvolle literarische Texte auch Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf erfahrbar gemacht werden könnten. Die Reduzierung der Lesemenge (und die Schließung der auftretenden Lücken durch mediale Literaturadaptionen), die Überführung des Originaltextes in Einfache Sprache sowie das aus der Sonderpädagogik stammende Konzept der Elementarisierung (vgl. z. B. Seitz 2003) sind prominente Ansätze. Nicht zu verleugnen ist, dass dabei nicht nur die quantitative Gestalt eines Werkes verändert wird, sondern auch die sprachliche und ästhetische. Daher stehen diesen Ansätzen Forderungen gegenüber, ein literarisches Werk in seiner poetischen und ästhetischen Originalität zu erhalten und das kunstimmanente Unverständliche wertzuschätzen (vgl. z. B. Olsen 2016). Im Projekt LLinkL werden in Verfolgung der vier Ansätze Kürzung (und Arbeit mit Adaptionen), Vereinfachung, Elementarisierung sowie Wahl von Texten, die in ihrer Originalität beibehalten werden können, entsprechende Unterrichtsmodelle entwickelt, erprobt und evaluiert – unter der Prämisse, das gemeinsame Lernen zu stärken. Ziel ist, dass möglichst alle Lernende bei der individuellen Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen Kommunikationskern (in Anlehnung an Georg Feusers gemeinsamen Gegenstand (vgl. Feuser 1982)) nach ihren jeweiligen Voraussetzungen ästhetische Erfahrungen machen und literarische Kompetenzen entwickeln können, und dabei immer wieder zusammen in die Verständigung kommen. Hier ist unter anderem das Dissertationsprojekt von Stefanie Granzow zu verorten. Es fokussiert sogenannte Text-Bild-Verbünde, also z. B. Graphic Novels oder Comics, als literarästhetische Gegenstände, die keiner Anpassung bedürfen, um als gemeinsamer Kommunikationskern fungieren zu können. Die empirische Arbeit fragt, ob und (wenn ja) inwiefern Text-Bild-Verbünde geeignete gemeinsame, für möglichst alle zugängliche Lerngegenstände darstellen. Diese Medien erscheinen aufgrund ihrer Konzeption für inklusive Klassen besonders gut geeignet. Denn sie sprechen ihre Rezipient*innen auf sehr unterschiedlichen Ebenen an, weshalb angenommen wird, dass die Anforderungen, die sie stellen, unterschiedlich komplex sind. Einerseits kann die Komplexität der Text-Bild-Symbiose besondere Denkprozesse herausfordern, andererseits kann die bildliche Komponente, aber auch die stark strukturierte Sprache für Schüler*innen mit Lese- und/oder Lernschwierigkeiten unterstützend und/oder motivierend wirken. Es wurden konkrete Unterrichtseinheiten und -materialien zu zwei beispielhaften Text-Bild-Verbünden entwickelt, die von Oktober 2017 bis Juni 2018 in verschiedenen Klassen (Klassenstufe 5/6 und 9/10) unterschiedlicher inklusiv arbeitender Schulen erprobt wurden. Die Beantwortung der Forschungsfragen erfordert den Einsatz unterschiedlicher Forschungsinstrumente. In einem ersten Schritt werden mit Hilfe eines Fragebogens die Lesesozialisation und anhand eines standardisierten Lesetests die Lesefähigkeit der Lernenden erfasst, um sich den individuellen Lernvoraussetzungen zu nähern. Anschließend erfolgt die Beobachtung des Lesevorgangs des Comics bzw. der Graphic Novel sowie des Lernerfolgs mit diesem Werk, indem sogenannte Literarische Gespräche mit den Schüler*innen in Kleingruppen geführt werden. Um diese Beobachtungen festhalten und auswerten zu können, werden die Rezeptionsphase und die Gespräche videografiert, also in Ton und Bild aufgenommen. Nur so können Zeigegesten auf bestimmte Bild- und Textstellen des Comics bzw. der Graphic Novel sowie die Mimik, Gestik und nonverbale Kommunikation der Lernenden eingefangen werden. Flankiert werden diese Daten durch schriftliche Schüler*innenprodukte der konzipierten Unterrichtsmaterialien.

Literaturverweise

Olsen, Ralph (2016): Lust, Niemandes Schlaf zu sein ... Anmerkungen zur Problematik der Textauswahl im inklusiven Literaturunterricht. In: Frickel, Daniela A./Kagelmann, Andre (Hg.): Der inklusive Blick. Die Literaturdidaktik und ein neues Paradigma. Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang, S. 61-87.

Seitz, Simone (2003): Literaturunterricht für alle – Schule für alle? In: Lamers, Wolfgang/Klauß, Theo (Hg.): Alle Kinder alles lehren... aber wie? Düsseldorf: Verlag Selbstbestimmtes Leben, S. 213-223.

Prof. Dr. Tilman von Brand

Institut für Germanistik
Kröpeliner Straße 57
18055 Rostock
4. OG, Raum 408

Tel.: 49(0)381 498 2500
E-Mail: tilman.von-brand(at)uni-rostock.de

Sprechzeit

Donnerstag, 13.15–14.15 Uhr

Unterschriften für die Staatsexamensprüfungen können gerne auch um die Veranstaltungen herum eingeholt werden.

(Bitte beachten Sie, dass Änderungen der Sprechzeiten unter dem Menüpunkt "Aktuelles" bekanntgegeben werden)

 

Sprechstunden in der vorlesungsfreien Zeit:

16.8., 13-14 Uhr

27.8., 12-13 Uhr

4.9., 12-13 Uhr

24.9., 11-12 Uhr