Eine Konferenz-Kurzskizze von Erik Renz (@erre1998)
Vom 14. bis 18. Juli 2025 öffnete die Faculdade de Ciências Sociais e Humanas der Universidade Nova de Lisboa ihre Türen für die 36. Konferenz der Alliance of Digital Humanities Organizations. Für einen Teil des mittlerweile gut eingespielten Teams der vergleichsweise jungen DH-Szene in Rostock, bestehend aus Ulrike Henny-Krahmer, Nils Kellner, Marc Lemke und Erik Renz, bedeutete dies eine Reise von der Ostseeküste an den Atlantik, um unter dem diesjährigen Leitsatz „Building access and accessibility, open science to all citizens“ die Ergebnisse ihrer Forschung zu präsentieren und neue fachliche Impulse zu sammeln.
Die portugiesische Hauptstadt erwies sich als perfekte Kulisse für eine Konferenz, die in diesem Jahr Zugänglichkeit und Offenheit in den Mittelpunkt stellte. Denn zwischen historischen Azulejos und modernen Hörsälen entstanden schnell Tagungsmotto-getreue Gespräche über die Rolle, Verantwortung, aber auch Zukunft der digitalen Geisteswissenschaften. Das Rostocker Team nutzte diese Gelegenheit: Projektvorstellungen, Wiedersehen mit bekannten Gesichtern aus der DH-Community, das Knüpfen neuer Kontakte und lebhafte Diskussionen über aktuelle Entwicklungen prägten die Konferenztage, unterbrochen nur von Spaziergängen durch die charmanten Gassen Lissabons und dem obligatorischen Genuss der berühmten Pastéis de Nata.
Nach zwei intensiven Tagen mit Workshops, die von praktischen Übungen zur automatisierten Texterkennung historischer Manuskripte über theoretische Diskussionen zu Ontologien und Wissensgraphen für narrative Strukturen bis hin zu ethischen Grundsatzdebatten über Forschungsintegrität und kollaborative Ansätze in den digitalen Geisteswissenschaften reichten, und einer Eröffnungskeynote, die das Publikum mit Überlegungen zum Einsatz KI-gestützter Transformer-Modelle in der historischen Forschung fesselte und dabei die Möglichkeiten einer interpretativ anspruchsvollen ‚algorithmischen Lektüre‘ komplexer Quellenkorpora auslotete, begann die eigentliche Konferenz am Mittwochmorgen mit den ersten Sessions.
Hier moderierte dann bereits Nils Kellner die Session „Digital Mapping & Crowdsourcing for Cultural Heritage & Dialect Studies“, in der er gemeinsam mit Marc Lemke das Paper „They crossed the valley of Catamarca: A study of narrative space in novel openings“ präsentierte. Die beiden Mitarbeiter des seit 2023 von der DFG geförderten CANSpiN-Projekts stellten dabei eine Fallstudie vor, die sich den Ähnlichkeiten und Unterschieden von Romananfängen widmet. Mittels digitaler Textannotation und Raumanalyse untersuchten sie Romanöffnungen des 19. und 20. Jahrhunderts in deutscher und spanischer Sprache. Ihre Ergebnisse zeigen etwa, dass räumliche Beschreibungsmuster als Indikatoren für narratologische Eigenschaften fungieren: Ein anfänglicher Höchstwert an Raumhinweisen deutet auf eine initiale Raumbeschreibung hin, während dessen Rückgang die Position der ersten Figurenereignisse markiert. Dieser deskriptive Fokus auf Raum, bildhafte Darstellung und Atmosphäre zu Beginn von Geschichten erwies sich als charakteristisch für die Fiktion und variiert zwischen verschiedenen fiktionalen Subgenres.
Einen anderen Ansatz im selben thematischen Zusammenhang verfolgte unterdessen das von Ulrike Henny-Krahmer und Caroline Müller entworfene Poster „Nature versus Artefacts: Places and Objects in Nineteenth-Century Novels from Spain and Latin America“, das im Rahmen der mehrtägigen Postersession vor dem Fakultätsgebäude – mithin bei herrlichem Sonnenschein – betrachtet werden konnte. Die hierin vorgestellte Untersuchung literarischer Texte widmete sich den benannten wie auch den unbenannten Orten – also jenen, die nicht durch Eigennamen gekennzeichnet sind –, da beide für das Setting der Romane und die Handlung von großer Relevanz sind. Für die präsentierte Studie wurden dabei 200 Texte (100 aus Spanien, 100 aus Lateinamerika) aus der Zeit von 1840 bis 1920 auf die in ihnen vorkommenden natürlichen Räume, Objekte und Artefakte hin untersucht. Passend zu diesem thematischen Schwerpunkt übernahm Henny-Krahmer sodann am Donnerstag gleichfalls die Moderation der Session „Spatial Analysis for Literature, Fiction and Travel Writing“.
Am Donnerstag präsentierte auch Fernanda Alvares Freire (Berlin/Darmstadt), assoziiertes Mitglied des Rostocker Arbeitskreises Digital Humanities (RosDH), das Long Paper „Modernização da infraestrutura do portal da 'edição digital de Fernando Pessoa projetos e publicações' em parceria com o consórcio Text+“. Der in der Landessprache gehaltene Vortrag, an dem Henny-Krahmer und Renz mitgewirkt hatten, beleuchtete die Arbeiten zur Nachhaltigkeit und Modernisierung der digitalen Infrastruktur im Rahmen des Kooperationsprojekts „Pessoa Digital“. Ein vorhergehender Besuch der Bronzestatue des Dichters am Chiado Square – für den ‚Literatur die angenehmste Art war, das Leben zu ignorieren‘ – bildete indes das passende Kulturprogramm für diese Präsentation.
Erik Renz, der nicht nur an zweien der oben genannten Beiträge mitgewirkt hatte, war unterdessen noch Empfänger eines der vom Verband Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd) seit einigen Jahren regelmäßig gestifteten Early-Career-Reisestipendien, die es Wissenschaftler*innen in frühen Karrierephasen ermöglichen, an solchen (internationalen) Zusammenkünften teilzunehmen. Ein herzliches Dankeschön gilt daher dem DHd, der durch die Vergabe dieser Stipendien nicht nur einzelne Forschungsbiographien fördert, sondern auch die Zukunft der deutschsprachigen Digital Humanities Community als Ganzes stärkt.
Die DH2025 in Lissabon bot dem Rostocker Team eine ideale Plattform für den internationalen Austausch und die Präsentation ihrer Forschung. Doch allen voran zeigt sich hier einmal mehr, dass sich die multinationale DH-Community vor allem durch eine produktive Mischung aus wissenschaftlicher Neugier und kulturellem Entdeckerdrang auszeichnet. Wie einst die Seefahrer von Lissabon aus zu neuen Welten aufbrachen, so erkunden Digital Humanists heute auf ihre Weise neue Ufer des Wissens – von der Ostsee bis zum Atlantik – und darüber hinaus.






